„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?” –
Früher nannte man es „Zensur“, wenn staatliche Stellen unliebsame und abweichende Meinungen einschränkten, kontrollierten oder verboten. Seit einiger Zeit ist dieser Begriff fast aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden und damit gefühlt auch das gesamte politische, juristische und kulturelle Erbe, welches mit der Auseinandersetzung um Zensur und der Erkämpfung von Meinungsfreiheit einherging. Dafür ist jetzt der „Kampf gegen Desinformation“ als Konzept und Aktivität omnipräsent geworden. Wie ist es zu dieser Diskursverschiebung gekommen, welche Interessen und Akteure stehen dahinter und welche Krisen haben die Zwischenschritte dieser Entwicklung begünstigt?
Von Maike Gosch.
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Schritt 1: 2014 – Ukraine
Nach dem gewaltsamen Regierungswechsel in Kiew im Jahr 2014 begannen sämtliche Medien, egal ob eher rechtskonservativ oder linksliberal, über die Ereignisse in der Ukraine mit einer starken Tendenz zu berichten, die den Regimewechsel und die vom Westen unterstützte neue Regierung befürwortete, während sie den Kräften in der Ostukraine und Russland gegenüber sehr kritisch eingestellt waren. Dies wurde von vielen Lesern, Zuhörern und Zuschauern bemerkt und führte zu massiven Online- und Offline-Protesten. Ich erinnere mich gut daran; es fühlte sich wie ein grundlegender Wandel in unserer Medienlandschaft an. Plötzlich schienen alle Journalisten und Kommentatoren zu Propagandisten geworden zu sein. Es war nicht so offensichtlich und krass wie heute, aber es war dennoch eine spürbare Abkehr von der Art und Weise, wie bis dahin über geopolitische Themen berichtet und diskutiert wurde.
Plötzlich gab es nur noch eine gute Seite. Es gab sehr wenig Zwischentöne und kaum Berichterstattung über andere Standpunkte oder Perspektiven. Man wurde das Gefühl nicht los, dass in der Ukraine und in Deutschland irgendetwas im Hintergrund geschehen sein musste, das Politiker und Medien darauf vorbereitet hatte, diese sehr voreingenommenen und manchmal offen manipulativen Narrative zu verbreiten. Diese deutliche Schlagseite wurde von vielen Bürgern bemerkt, und Zeitungen und Fernsehsender wurden in der Folge mit Kommentaren und Beschwerden geradezu überschwemmt. Der Begriff „Lügenpresse“, der von den Nazis, aber auch früher in der deutschen Geschichte verwendet worden war, erlebte eine Renaissance.
Die Öffentlichkeit begann, sich in zwei Teile zu trennen: Der eine bestand aus Menschen, die der Linie der Medien glaubten, und der andere aus Menschen, die dieser kritisch gegenüberstanden. Dies führte zur Gründung oder zum Wachstum vieler alternativer Medienprojekte, die der einseitigen und einheitlichen Medienlinie etwas entgegensetzen wollten. Eines der erfolgreichsten dieser Projekte war KenFM des deutschen Journalisten Ken Jebsen, der auch – zusammen mit Sahra Wagenknecht und anderen – Demonstrationen für Frieden mit Russland und gegen die Kriegsrhetorik organisierte, was zu den ersten Anschuldigungen einer „Querfront“ führte (d. h. eines Bündnisses von rechts und links, das an die chaotische politische Situation in der Weimarer Republik in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren in Deutschland erinnerte). Der Vorwurf des Rechtsextremismus wurde auch gegen die Organisatoren und Unterzeichner eines Friedensmanifests erhoben, vermutlich um Mitglieder der Linken, die sich angeschlossen hatten oder daran interessiert waren, abzuschrecken, und allgemeiner, um jeden Friedensaktivisten in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Die abfällige Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“, die bis dahin eher eine Randexistenz geführt hatte, wurde ebenfalls hervorgeholt und stand nun im Mittelpunkt fast aller Artikel über die Bewegung. Dies war sozusagen der erste Schritt: Ein Spalt hatte sich zwischen der Meinung und Einschätzung der Medien und politischen Eliten und der der Bevölkerung aufgetan. In diesem Fall waren es vor allem die Angehörigen einer eher linken und gut ausgebildeten Mittelschicht, die gegen eine Medienlandschaft rebellierten, die im Sinne einer antirussischen und Pro-NATO-Haltung ziemlich weit nach rechts gerückt zu sein schien.
Ich war damals mit Journalisten befreundet und erinnere mich noch gut an Gespräche mit ihnen, in denen sie die Vorwürfe der Einseitigkeit oder der Propaganda nicht verstehen konnten und darauf beharrten, dass sie tatsächlich die „freie Presse“ seien und so objektiv berichteten wie immer. Sie nahmen die Kritik überhaupt nicht an und waren der festen Überzeugung, dass die Leute, die sie kritisierten, lediglich weniger intelligent und weniger informiert seien als sie. Ich glaube, es war etwa zu dieser Zeit, dass eine neue Generation von Journalisten, die in den 1990er-Jahren ausgebildet worden waren, in den Redaktionen an Bedeutung gewann. Diese Leute hatten eine politische Weltanschauung, die stark vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) geprägt war, und waren überzeugt, dass der Westen auf der richtigen Seite der Geschichte stand. Die gesamte linke und kritische politische Bildung der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre war für sie ein „alter Hut“ und nicht mehr relevant.
Ich erinnere mich an eine Diskussion, in der ich eine Gruppe sehr prominenter Journalisten, die für hochrangige deutsche Zeitungen über Politik und Wirtschaft schrieben, fragte, ob sie jemals von dem U.S.-amerikanischen Medienanalytiker Noam Chomsky gehört hätten, und sie antworteten, dass sie nie etwas von ihm gelesen oder eines seiner Interviews gehört hätten. Viele von ihnen waren, wie die meisten ihrer Chefredakteure, auch Mitglieder der Atlantik-Brücke und/oder anderer transatlantischer Thinktanks, die regelmäßig Russland, China und den Iran – also praktisch jeden geopolitischen Gegner der USA – anprangerten.
Alle Medien, die ich kannte, folgten diesem allgemeinen Drehbuch, und scheinbar vermutete niemand bei den Geschichten, die sie über die Nachrichtenagenturen, Experten von Thinktanks oder „Informanten“ der Sicherheitsbehörden erhielten, falsches Spiel oder Propaganda. Wohlgemerkt geschah dies, nachdem bereits viel über die Desinformationskampagnen und Kriegsverbrechen des Westens im Jugoslawienkrieg, im Irakkrieg, im Syrienkrieg, in Guantanamo, bei den außergerichtlichen Überstellungen und Folterungen, im Afghanistankrieg und in vielen anderen Fällen ans Licht gekommen war. Irgendwie hatten diese vorausgegangenen Verbrechen und Lügen des Westens nichts an ihrer Überzeugung geändert, dass westliche Mächte von Natur aus wohlwollend und gut seien.
Schritt 2: 2015/2016 – Die Flüchtlingskrise
Aufgrund des Krieges in Syrien und anderer globaler Konflikte kam es 2015 zu einem starken Anstieg der Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa und insbesondere nach Deutschland kamen. Aus mehreren Gründen beschloss Deutschland, bei der Aufnahme von Flüchtlingen großzügiger zu sein als andere Länder, was zu einem „Ansturm“ auf Deutschland führte. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel prägte den Satz „Wir schaffen das“, was bedeutete, dass Deutschland in der Lage sein würde, diese beispiellose Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen. Die Zeitungen waren größtenteils an Bord; sogar die normalerweise eher rechtsgerichtete und populistische Bild-Zeitung unterstützte die Pro-Flüchtlings-Regierungslinie.
Wieder tat sich eine Kluft auf (oder vertiefte sich), diesmal zwischen hauptsächlich Angehörigen der Mittel- und Oberschicht in städtischen Gebieten im Westen und der unteren Mittel- und Arbeiterschicht aus Kleinstädten und ländlichen Gebieten im Osten. Die erste Gruppe war überwiegend aus humanitären Gründen für die Aufnahme der Flüchtlinge; die letztere war aus kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedenken dagegen. Sie waren zudem stärker von der erhöhten Zahl der Flüchtlinge betroffen, da diese in weitaus größerem Maße in ihre Wohngebiete und sozialen Sphären hineindrängten als in die der privilegierteren Schichten. Insgesamt kamen von September 2015 bis Sommer 2016 innerhalb eines Jahres etwa 1,3 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland.
Die Medien unterstützten im Großen und Ganzen die „Refugees welcome“-Haltung und die Entscheidungen der Bundesregierung und berichteten recht positiv über die Situation. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung war jedoch mit den Entscheidungen nicht zufrieden und fühlte sich in der Berichterstattung und Bewertung der Ereignisse durch Journalisten und die meisten Politiker nicht repräsentiert. In diesem Fall waren es eher politisch und kulturell Konservative, die sich in den Medien nicht repräsentiert fühlten. Vorwürfe voreingenommener und schlichtweg falscher Berichterstattung über die Situation der Flüchtlinge und die von ihnen ausgehende Bedrohung (z. B. Gewalt, Kriminalität, Übergriffe auf Frauen, Ausbeutung des Asylstatus durch Flüchtlinge aus wirtschaftlichen Gründen usw.) wurden laut.
Der Begriff „Lügenpresse“, der während der Berichterstattung über die Ukraine wiederbelebt worden war, wurde nun noch häufiger verwendet, diesmal von den (sogenannten und tatsächlichen) „Rechten“. Eine Bewegung namens PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) wurde gegründet und organisierte große Demonstrationen gegen die Bedrohung des „Westens“ durch Ausländer. Dabei handelte es sich überwiegend um normale Bürger, die besorgt über den Zustrom einer beispiellosen Zahl von Ausländern aus ganz anderen Kulturen waren, aber auch um rechte Gruppen, die hauptsächlich in den östlichen Regionen Deutschlands ansässig waren, wo die Bewegung am stärksten war.
Die gesamte Flüchtlingssituation führte auch zu einem erneuten Anwachsen der Popularität der AfD, deren Bedeutung in den Jahren zuvor eher gering gewesen war. Mit der Flüchtlingssituation fand sie ihr neues Thema und schürte eine islam- und fremdenfeindliche Atmosphäre. Gleichzeitig wurde in den Medien ein neues „Feindbild“ geboren: der ignorante, schlecht ausgebildete, von Natur aus fremdenfeindliche und rassistische „AfD-Wähler“ – Teil eines größeren ostdeutschen „Mobs“. Noch nie vorher hatte ich so abfällige und negative Berichte über deutsche Bürger gelesen wie über diese Demonstranten und Protestierenden.
Anfangs war auch ich davon beeinflusst, zumal ich damals „pro refugees“ war und die Entscheidungen der Regierung für richtig hielt. Ich erinnere mich, dass ich einige der Berichte las und dachte: „Was für merkwürdige, ignorante und hasserfüllte Leute. Und wie paranoid und unrealistisch, von einer Bedrohung des ‚Westens‘ zu sprechen, und dann noch der Begriff ‚Abendland‘. Was für eine mittelalterliche Erzählung.“ Aber neugierig geworden, versuchte ich, mir einige der Reden bei den PEGIDA-Demonstrationen anzuhören, die schwer zu finden waren. Wie es mittlerweile zur Norm geworden ist, zeigten die Medien nur kurze O-Töne von ziemlich aggressiven und verrückten Menschen, und der Rest der Berichterstattung bestand nur aus Kommentierungen der Journalisten, die zu 100 Prozent negativ waren.
Als ich jedoch einige Originalaufnahmen fand, wurde mir klar, dass ein Großteil der Kritik der Demonstranten berechtigt und rational war und eher durch Angst und Enttäuschung über die Ergebnisse neoliberaler Politik und die Ungerechtigkeit der deutschen Politik motiviert war – zum Beispiel kritisierten die Demonstranten, dass deutsche Politiker sich nicht ausreichend um die eigenen Rentner und Bedürftigen kümmerten und stattdessen zu viele Ressourcen für die große Menge von Ausländern ausgaben. Ich fragte mich, warum über die Proteste so verzerrt berichtet wurde. Diese Ereignisse sowie die Methode und der Stil der Berichterstattung und die Darstellung der Kritiker vertieften die Kluft noch weiter, die sich zwischen den Medien und der politischen Klasse auf der einen Seite und Teilen der Bevölkerung auf der anderen Seite gebildet hatte. Nun wurden Pressevertreter bei der Berichterstattung über die Demonstrationen angeschrien und angegriffen, weil die Demonstranten so frustriert über die Art und Weise waren, wie sie dargestellt wurden. Die Medienvertreter betrachteten diese Frustration und diesen Hass natürlich als Beweis dafür, wie gewalttätig und irregeleitet der „rechte Mob“ geworden war.
Diese Ereignisse und die Art und Weise, wie sie behandelt und diskutiert wurden, führte auch zu einer weiteren tiefen Kluft, der zwischen den „linksliberalen“ Bürgern und den eher „rechts“ Orientierten, die 2014 in der Ukraine-Frage noch überwiegend zusammengestanden hatten. Eine „Querfront“ war somit erfolgreich vermieden worden.
Schritt 3: 2016/2017 – Trump und Russiagate
Als Donald Trump im November 2016 die US-Präsidentschaftswahlen gewann, waren sämtliche Linksliberale in den USA und Deutschland verblüfft. Das Ergebnis kam für sie ebenso unerwartet wie die Brexit-Entscheidung in Großbritannien im Sommer desselben Jahres, welche ebenfalls Schockwellen auslöste. Die Experten hatten gesagt, es würde und könne nicht passieren, und sie selbst hatten es ebenfalls für unmöglich gehalten. Diese Fassungslosigkeit und das Entsetzen über das Wahlergebnis führten zu Anschuldigungen der Wahl- und Wählermanipulation durch Trump und seine Unterstützer. Diese gipfelten im Januar 2017 in einer Untersuchung, in der die Einmischung Russlands zur Unterstützung der Trump-Kampagne behauptet wurde. Diese Vorwürfe wurden von Anhängern der Demokratischen Partei in den USA und ihren deutschen Unterstützern dankbar als Erklärung für den für sie unerklärlichen Wahlerfolg von Donald Trump genommen.
Alles begann im Juli 2016 damit, dass WikiLeaks 19.000 E-Mails von Funktionären der Demokratischen Partei veröffentlichte, in denen unteren anderem Manipulationen deutlich wurden, mit denen die Kandidatur von Bernie Sanders verhindert werden sollte. Bald wurde diese Nachricht aber von ganz anderen Anschuldigungen überdeckt, nämlich davon, dass das Democratic National Committee (DNC) von russischen Hackern gehackt worden sei und die Trump-Kampagne mit ihnen konspiriert habe. Es gab auch Vorwürfe über massive russische Einmischung über Facebook-Anzeigen und -Gruppen, die darauf abzielten, die amerikanische Öffentlichkeit zu beeinflussen. Obwohl sich viele dieser Anschuldigungen später als unbegründet erwiesen (Taibbi, 2019; Mate, 2021), halten die Mainstream-Medien und sogar Wikipedia bis heute weitgehend an diesen Geschichten fest. Im Nachhinein erscheint es eher wie eine aufwendige psychologische Operation, um die Aufmerksamkeit von den Verfehlungen des Clinton-Teams abzulenken, Russophobie zu schüren und Präsident Trump davon abzuhalten, eine Entspannungspolitik mit Russland in Betracht zu ziehen. Dennoch breitete sich die dadurch erzeugte Paranoia nach Europa und Deutschland aus, und plötzlich waren Begriffe wie „russische Desinformation“, „Fake News“, „Cyber-Hacking“ und „Cyber-Beeinflussung“ in aller Munde.
Es gibt sicherlich umfangreiche russische Cyberkriegsoperationen und Troll-Farmen sowie vergleichbare Einrichtungen in allen westlichen und anderen größeren Ländern, aber die extreme Reaktion der Medien auf diese speziellen Gerüchte und Anschuldigungen legte den Grundstein für die drakonische Regulierung der Online-Welt, die folgte und sich bis heute immer weiter verschärft hat. Diese Ereignisse und die Ängste, die sie schürten, führten dazu, dass der öffentliche Online-Debattenraum plötzlich als ein Kriegsgebiet wahrgenommen wurde, das scharf reguliert werden musste.
Eine Kritik am Regierungshandeln wird heute von Politikern, dem Establishment und vielen Journalisten eher als von einem russischen Bot stammend oder als Propaganda angesehen, die von einer feindlichen ausländischen Regierung platziert wurde, als als Kritik, die es wert wäre, in Betracht gezogen zu werden. Diese Betrachtungsweise ist natürlich sehr hilfreich dafür, die kognitive Dissonanz zu vermeiden, die sonst entstehen würde, wenn Menschen, die durch die zunehmend spaltende Medienlandschaft sehr fest in ihrer Deutung der Realität stecken, auf gegensätzliche Ansichten stoßen. Es ist nicht mehr nötig, die eigene Wahrnehmung der Realität zu hinterfragen; man kann diese Ansichten als „Fake News“ abtun, die im besten Fall „ge-fact-checked“ und verworfen und im schlimmsten Fall zensiert und strafrechtlich sanktioniert werden.
Viele Linksliberale, insbesondere aus der Medien- und Führungsschicht, und Leute aus meiner Berliner „Blase“, die für NGOs, Stiftungen und politische Parteien arbeiten, haben dieses Narrativ kritiklos übernommen, da es gut in ihr inzwischen sehr festes Weltbild passt, das sie nun nicht mehr kritisch hinterfragen müssen. Gleichzeitig floss eine beträchtliche Menge staatlicher und vor allem amerikanischer und europäischer Gelder in Programme, die darauf abzielten, „Demokratie zu fördern“, „Medienskepsis zu bekämpfen“ und – offener – „gegen Desinformation zu kämpfen“.
Die Übernahme dieses neuen Narrativs wurde damit eine karrierefördernde Entscheidung, die zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Zugang zu Finanzierung führte. Ich erinnere mich daran, mit Freunden und Bekannten aus meinem Freundeskreis sowie mit hochrangigen Mitarbeitern der Grünen, die ich damals beriet, diskutiert zu haben, dass man „Misstrauen gegenüber der Demokratie“ und „Misstrauen gegenüber den Medien“ nicht dadurch bekämpfen dürfe, dass man davon ausgeht, die Misstrauischen würden sich einfach irren oder Propaganda verbreiten. Stattdessen wäre es doch am wichtigsten, zu verstehen, woher dieses Misstrauen kam (die Gründe waren für mich offensichtlich) und wo es gerechtfertigt sein könnte, um dann diese tatsächlichen Missstände anzugehen.
Allerdings schien niemand in meinem Umfeld, zu dem viele Entscheidungsträger aus Politik und NGOs gehörten, für diese Strategie offen zu sein; und die Kluft zwischen den Mächtigen und ihren Unterstützern auf der einen Seite und großen Teilen der Bevölkerung auf der anderen Seite vertiefte sich.
Zensur wurde zu diesem Zeitpunkt als Lösung dieser Probleme allerdings noch nicht offen oder weithin diskutiert; wir befanden uns noch in der vorgeschalteten „pädagogischen Phase“, wenn man so will, in der diejenigen, die sich für gut informiert und auf der Seite der Demokratie stehend hielten, die Notwendigkeit sahen, die unwilligen Teile der Öffentlichkeit zu „erziehen“, die (für sie) unerklärlicherweise nach rechts drifteten und antidemokratische, pressefeindliche und antieuropäische Ansichten vertraten und die „anfällig“ für Verschwörungstheorien wurden.
Weil sie nicht bereit waren, ihre eigenen Prämissen infrage zu stellen – dass die westliche Demokratie gut funktionierte, dass die EU ein demokratisches, wohlwollendes und friedliches Projekt war, dass die Regierung überwiegend gute Entscheidungen traf und dass die Medien sorgfältig und unvoreingenommen berichteten –, suchten sie verzweifelt nach anderen Erklärungen dafür, warum ein wachsender Teil der Öffentlichkeit diese Dinge anders sah. Außerdem vermute ich, dass sie im Hintergrund von sehr cleveren Kommunikationsstrategien geleitet wurden, die überwiegend von amerikanischen und britischen Geheimdiensten und Thinktanks entwickelt wurden. Stiftungen und NGOs, die zunehmend von der Regierung oder Oligarchen finanziert werden (Soros, Clinton und Omidyar, um nur einige zu nennen), brachten Erklärungen vor wie: Die Kritiker (die aus gutem Grund nie „Kritiker“ genannt werden) sind ungebildet und dumm, von Natur aus rassistisch, ihre Reaktionen sind emotional, irrational, und vor allem sind sie von russischer Propaganda oder der eines anderen autoritären Landes oder einer anderen autoritären Gruppe indoktriniert. Es lief auf dieselbe, völlig vereinfachende Erklärung hinaus, die George W. Bush 2001 als Grund für die Anschläge vom 11. September angeben hatte: „Sie hassen uns für unsere Freiheit.“
Schritt 4: 2018 – Der Cambridge-Analytica-Skandal
2018 folgte der „Cambridge-Analytica-Skandal“, als bekannt wurde, dass das Unternehmen Cambridge Analytica die Daten von 87 Millionen Nutzern sozialer Plattformen für Wahlwerbung und andere politische Einflusskampagnen verkauft hatte, darunter auch solche, die für Donald Trump und Ted Cruz in den USA arbeiteten. Cambridge Analytica gehörte Robert Mercer, seiner Tochter Rebecca und Steve Bannon, der auch die Trump-Kampagne leitete. Das Unternehmen hatte auch eine Rolle im Rahmen der Brexit-Kampagne gespielt, da die Organisatoren der „Leave“-Kampagne ihre Dienste in Anspruch genommen hatten.
Obwohl letztlich keine relevanten Auswirkungen der Verwendung dieser Daten auf Trumps Wahlkampf oder die Brexit-Abstimmung (die 2016 stattfand) nachgewiesen werden konnten, lösten die Informationen international breite Diskussionen und Ängste aus, insbesondere in den deutschen Medien und in linksliberalen Kreisen. Sie verstärkten die Sorge über die Fähigkeit rechter, autoritärer und nationalistischer Gruppen, Daten zu nutzen, um Menschen in sozialen Medien in vorher nicht bekanntem Ausmaß zu beeinflussen. Dies bereitete den Boden für Zensurmaßnahmen, die als Bekämpfung von Desinformation und Manipulation der Bürger im Namen der „Rettung unserer Demokratie“ gerechtfertigt wurden.
Als Reaktion auf diese Skandale und Entwicklungen einigten sich Vertreter von Online-Plattformen, führenden Technologieunternehmen und Akteure der Werbebranche im Oktober 2018 auf EU-Ebene auf einen „Verhaltenskodex“, um der Verbreitung sogenannter „Online-Desinformation“ entgegenzuwirken. Technologieunternehmen und Werbetreibende verpflichteten sich, ihre Algorithmen zu ändern, Inhalte zu löschen und Werbung von Websites zu entfernen, die „Fake News“ veröffentlichen. Eine wichtige Veränderung bestand darin, dass die Zensur nun scheinbar von privaten Unternehmen und nicht mehr von staatlichen Stellen durchgeführt wurde, was es rechtlich schwieriger machte, gegen diese Maßnahmen vorzugehen.
Schritt 5: 2020 – Corona
Dann kam die Corona-Krise, und der Begriff „Desinformation“ wurde zum dominierenden Konzept und Vorwurf in der öffentlichen Debatte, während der Fokus vorher eher auf den Begriff „Fake News“ (ein Vorwurf, der in den USA von beiden Seiten des politischen Spektrums gegeneinander erhoben wurde) und „Manipulation“ gelegen hatte.
Wie wir heute von den Inhalten des „Event 201“ im Oktober 2019 und anderen vorangegangenen Pandemieübungen wissen, gab es eine im Vorhinein festgelegte Kommunikationsstrategie für die Pandemie-Situation. Die meisten Journalisten und Medienmanager waren bereits darauf eingestellt, während einer Pandemie „Desinformation zu bekämpfen“, was im Vorfeld als eines der großen politischen Risiken einer solchen Situation identifiziert wurde. Es ist nicht allzu abwegig, zu spekulieren, dass dieses Thema (Desinformation) bei der Planung deshalb eine so dominierende Rolle spielte, weil man zu Recht erwartete, dass nicht jeder die Faktengrundlage für die Ausrufung eines Gesundheitsnotstands glauben oder mit den beispiellosen und harten Einschränkungen der persönlichen Freiheiten durch die Regierungen einverstanden sein würde. Das „Framing“ hier war jetzt, dass „Desinformation Leben gefährdet“, womit man ausdrücken wollte, dass falsch informierte Menschen sich nicht an die „lebensrettenden“ Corona-Maßnahmen der Regierung halten würden oder davon abgehalten werden würden, sich impfen zu lassen, was dann dazu führen würde, dass Menschen tatsächlich aufgrund von Desinformation sterben würden.
Während die Angst vor Nationalisten und Rechten, Trump, Russland und ihren Fake News und Wählermanipulationen, die Risiken für „unsere westliche Demokratie“ darstellten, in den Jahren zuvor wie ein Donnergrollen in der Ferne gewirkt hatte, schlug die Corona-Krise nun wie eine Welle über uns zusammen. Die Stimmen wurden schriller und die Stimmung angespannter. Jetzt ging es um „Leben und Tod“, und man konnte förmlich zusehen und -hören, wie diejenigen, die die offiziellen Corona-Narrative glaubten, im Laufe der Monate immer hysterischer wurden. Wir befanden uns im Ausnahmezustand, Angst- und Stresspegel stiegen, und es gab scheinbar keine Zeit oder keinen Raum mehr für Diskussionen. Die Kämpfer gegen Desinformation erreichten einen bedeutenden Schritt nach vorne durch diese grundlegende Veränderung unserer sozialen Atmosphäre, in der das Hinterfragen offizieller oder staatlicher Informationen oder Erzählungen jetzt plötzlich als Bedrohung und nicht mehr als Zeichen eines gesunden und demokratischen öffentlichen Diskurses angesehen wurde.
Diese Atmosphäre wurde genutzt, um die Zensur auf ein beispielloses Niveau zu steigern. Unabhängige Medien wie KenFM wurden bedroht, angegriffen und praktisch vernichtet. Große YouTube-Kanäle wurden kurzerhand gelöscht und Social-Media-Posts sowie YouTube-Videos mit Desinformationswarnungen versehen, wenn nicht sogar direkt verboten oder in der Reichweite massiv gedrosselt. Große Technologieunternehmen begannen, mit Gesundheitsministerien und Institutionen wie Johns Hopkins zusammenzuarbeiten, und schlossen Partnerschaften mit sogenannten „Faktencheckern“, um „die Wahrheit“ zu überwachen. All dies ging mit Hexenjagden und Medien-Hetzkampagnen einher, die in Ausmaß und Bösartigkeit ebenso beispiellos waren. Möglich wurde dies durch neue rechtliche und institutionelle Maßnahmen wie das im Juni 2020 gegründete European Digital Media Observatory, einem „interdisziplinären Netzwerk zur Bekämpfung von Desinformation“, und einer Änderung des deutschen Medienrechts, die erstmals die Regulierung unabhängiger Medien durch staatliche Regulierungsbehörden mit weitreichenden Befugnissen ermöglichte, darunter die Schließung von Websites. Im August 2021 gab YouTube bekannt, drei Millionen Videos mit Corona-bezogenen Inhalten gelöscht zu haben.
Ich erinnere mich an eine bemerkenswerte Situation in den ersten Wochen der Corona-Krise im Frühjahr 2020. Ich hatte ein Interview mit Wolfgang Wodarg gehört, einem äußerst renommierten und sachkundigen deutschen Arzt, Experten für öffentliche Gesundheit und prominenten Politiker, in dem er im Wesentlichen sagte, dass das Corona-Virus nicht ernster als ein schweres Grippevirus sei – und fühlte mich beruhigt.
Was in den Tagen danach folgte, war eine Flut von Artikeln, die ihn in unglaublichem Ausmaß und Ton verleumdeten und beschimpften. Es müssen Hunderte von Artikeln gewesen sein, die auf fast allen Plattformen und Zeitungen veröffentlicht wurden. Alle waren sich darin einig, dass er gefährlichen Unsinn redete. Ein paar Wochen später traf ich mich mit einer/m Bekannten in Berlin-Mitte zum Mittagessen. Diese/r Bekannte war in der Demokratieförderung aktiv und ein sehr kluger und idealistischer Mensch. Unser Gespräch drehte sich natürlich um die Pandemie, und mein/e Freund/in erzählte, dass er/sie im Vorstand einer großen, wichtigen NGO sei, genau wie Wolfgang Wodarg.
In der letzten Sitzung hatte der gesamte Vorstand dafür gestimmt, Dr. Wodarg wegen seiner „Corona-Desinformation“ aus seinem Amt zu entlassen. Als ich fragte, ob das nicht ein bisschen hart und verfrüht sei, wenn man bedenke, dass es sich um ein sehr neues Virus handele und noch nicht klar sei, was genau vor sich gehe, sodass Dr. Wodargs wissenschaftliche Einschätzung genauso gut sein könnte wie die von jedem anderen, ließ sich mein/e Freund/in nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. Er/sie wiederholte alle Verleumdungen aus den Artikeln, die er/sie über ihn gelesen haben musste, und sagte, er sei offensichtlich ein Scharlatan, der Interviews auf rechten Plattformen gebe und medizinische Falschinformationen verbreite. Die Maßnahmen des Gremiums, so glaubte er/sie, seien absolut richtig. Dies war für mich der erste Hinweis darauf, wie weit das „Group Think“ (Gruppendenken) in meiner Blase bereits fortgeschritten war und wie naiv sehr intelligente und ansonsten kritische Menschen sein können, wenn es um Medienkampagnen und Propaganda geht. Sie hinterfragten die Medienartikel oder die von der Regierung verbreiteten Informationen einfach überhaupt nicht.
Schritt 6: Ukraine-Krieg 2022
Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte, fühlte es sich an wie die Situation von 2014, nur auf Speed. Die Berichterstattung und Kommentare waren völlig einseitig zugunsten der Ukraine, der NATO und der USA, bis hin zu faktisch falschen Darstellungen und dem Weglassen einer unglaublichen Menge an Informationen und Hintergrund. Über die „andere Seite“ und ihre Perspektive wurde überhaupt nicht berichtet, sondern nur verleumdet, verzerrt und erfunden. Während die Berichterstattung über die Ereignisse in der Ukraine im Jahr 2014 auffällig voreingenommen und an Propaganda grenzend gewesen war, hatten wir jetzt das Niveau einer regelrechten Kriegspropaganda erreicht, obwohl Deutschland sich nicht – zumindest nicht offen – im Krieg befand.
Das Vorgehen gegen Andersdenkende wurde jetzt noch härter und juristischer. Der Geltungsbereich der Gesetze, die Hassreden verbieten, Gräueltaten infrage stellen oder verharmlosen und Völkermord, Angriffskriege und Terrorismus billigen (eine deutsche Spezialität, die Gesetze, meine ich), wurde erweitert. Es wurde sogar illegal, bei einer Demonstration eine russische Flagge zu schwenken oder den Buchstaben „Z“ (ein Symbol für die russischen Streitkräfte in der Ukraine) irgendwo an der eigenen Person, am Auto, am Haus oder in den sozialen Medien anzubringen (Tagesschau, 2022). Besonders alarmierend war, dass es illegal wurde, Berichte über angebliche russische Gräueltaten wie jene in Butscha oder Mariupol infrage zu stellen (Süddeutsche Zeitung, 2022). Das war keine Kleinigkeit. Jetzt waren Andersdenkende nicht mehr nur Zensur, Verleumdung, Ausgrenzung oder dem Verlust ihres Arbeitsplatzes ausgesetzt, wie es während der Corona-Zeit der Fall gewesen war, sondern sie riskierten hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen für etwas, was im Grunde eine abweichende politische oder geopolitische Einschätzung war.
Andersdenkende begannen, das Land zu verlassen, und immer mehr Websites, Online-Magazine und YouTube-Kanäle wurden abgeschaltet oder gelöscht. Der Zugang zu russischen Online-Nachrichtenseiten wurde europaweit verboten, was es zunehmend schwieriger machte, Informationen zu finden, die die Linie der Regierung, der EU und des transatlantischen Apparats infrage stellten. Der Teil der Bevölkerung, der den Mainstream-Medien vertraute und durch die Corona-Jahre gut geschult war, betrachtete abweichende Meinungen zum Ukraine-Krieg als gefährliche russische Desinformation und Propaganda.
Menschen, die diese Meinungen äußerten, wurde nicht mehr zugehört oder mit ihnen sachlich diskutiert, sondern sie wurden lediglich als „Putin-Trolle“ verunglimpft, wenn nicht von NAFO-Trollen mit widerlichen, sexuell eindeutigen Bildern zugespammt. Fast jeder, der eine andere Meinung über den Konflikt und seine mögliche Lösung hatte als die zunehmend kompromisslosen Politiker und Journalisten, die alle – wie schon in der Corona-Zeit – wie im Gleichschritt zu marschieren schienen, war damit beschäftigt, Social-Media-Beiträge zu löschen und alle Aussagen zu bearbeiten oder vorab im Kopf zu zensieren, die ihn/sie in Konflikt mit dem Gesetz bringen könnten. Die Zensur hatte in Deutschland wieder Eingang gefunden – und natürlich wurde offiziell bestritten, dass es überhaupt passierte.
Jetzt befinden wir uns in einer stark zensierten Informationslandschaft, und seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Beginn der israelischen Militäroperation in Gaza ist es noch schlimmer geworden. Die Medien und alle großen politischen Parteien marschieren im Gleichschritt, und dennoch wollen etwa die Hälfte der Bevölkerung und alle deutschen NGOs nicht bemerken, was vor sich geht. Sie weisen in Bezug auf Zensur und mangelnde Pressefreiheit mit einem entschlossenen Zeigefinger nur auf die geopolitischen Gegner der USA wie Russland, China, den Iran oder Weißrussland. Die Transformation von „Zensur“ in den „Kampf gegen Desinformation“ war erfolgreich und ist hiermit vollendet.
Quellen:
- Taibbi, Matt, (2019) „Die Presse wird aus dem Russiagate-Fiasko nichts lernen“, Rolling Stone.
- Maté, Aaron, (2021) „CrowdStrike einer der ‚größten Übeltäter‘ von Russiagate: ehemaliger Ermittler des Repräsentantenhauses“, The Grayzone.
- Tagesschau, (2022) „Zeigen des „Z“-Symbols kann strafbar sein“.
- Süddeutsche Zeitung (2022) „In Deutschland soll künftig die Verharmlosung aller Genozide und Kriegsverbrechen weltweit unter Strafe stehen.“
Titelbild: Shutterstock / Pusteflower9024
Dieser Beitrag erschien im Original am 19. Juli auf den Nachdenkseiten: https://www.nachdenkseiten.de/?p=116908
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