OMV gegen Gazprom: Wie sich Österreich energiepolitisch selbst schadet

OMV gegen Gazprom: Wie sich Österreich energiepolitisch selbst schadet

Am 13. November 2024 verurteilte ein Schiedsgericht „unter den Regeln der Internationalen Handelskammer“[1] – wie es auf der Homepage des österreichischen Energiekonzerns OMV heißt – den russischen Gasriesen Gazprom zu einer Geldstrafe von 230 Millionen Euro plus Zinsen. Noch am selben Tag verkündete der Vorstand der OMV, diese Summe mit aktuell offenen Forderungen verrechnen zu wollen. Für Gazprom kommt dies nicht in Frage, weshalb der russische Konzern am 16. November die Gaslieferung an die OMV einstellte. Von Hannes Hofbauer.

 

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Was von Weitem so aussieht wie ein ganz normaler Gerichtsstreit unter kapitalstarken Konzernen, ist tatsächlich Ausfluss einer langfristig vorbereiteten Provokation des größten österreichischen, teilverstaatlichten Betriebes gegen Russland. Auf diese Weise will Wien einen bis 2040 gültigen Liefer- und Abnahmevertrag für russisches Erdgas nach Österreich und eine 57-jährige Energiepartnerschaft zwischen den beiden Ländern beenden. Die OMV-Klage vor dem Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer war mutwillig geplant und selbstbeschädigend ausgeführt.

SMV seit 1945, Sowjetgas seit 1968

Im Jahr 1968 schloss Österreich als erster westlicher Staat einen Erdgasliefervertrag mit der Sowjetunion ab. Als Drehscheibe dafür diente die Lagerstätte Baumgarten an der March. Der direkt an der slowakischen Grenze gelegene Ort eignete sich besonders dafür, weil in der Gegend schon zuvor Erdöl und Erdgas – freilich in weit geringerem Umfang – gefördert wurden. Von Baumgarten baute man 1974 Leitungen nach Italien, 1980 in die Bundesrepublik Deutschland und 1996 nach Ungarn.

Die österreichisch-sowjetische Energiepartnerschaft reicht indes noch viel weiter in die Vergangenheit zurück. Nach 1945 übernahm Moskau entsprechend der Potsdamer Verträge, wonach deutsches Eigentum zwecks Reparationen beschlagnahmt werden durfte, kleine Energieförderstellen in Ostösterreich und baute diese zu einem Großbetrieb unter dem Namen Sowjetische Mineralölverwaltung (SMV) aus. Nach dem Abzug der alliierten Truppen ging der Betrieb in die Hände der verstaatlichten Industrie über und wurde zur Österreichischen Mineralölverwaltung. Aus der SMV wurde die OMV. Diese ist auch heute noch im teilstaatlichen Besitz: 31,5 Prozent an der Aktiengesellschaft werden vom Staat Österreich gehalten, 24,9 Prozent vom Scheichtum Abu Dhabi.

Anfang Juni 2018 unterzeichneten Gazprom-Chef Alexej Miller und OMV-Chef Rainer Seele zum 50. Jahrestag der sowjetisch/russisch-österreichischen Energiepartnerschaft eine Verlängerung des seit 1968 bestehenden Gasliefervertrages. Im Beisein von Russlands Präsident Wladimir Putin und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz gestaltete sich die schlichte Zeremonie der Unterschriftsleistung als Festakt. Die neue Vereinbarung, die neben der Lieferverpflichtung auch eine Abnahmeverpflichtung enthielt, gilt bis zum Jahr 2040, was beiden Partnern eine langfristige Planungssicherheit garantierte. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es Querschüsse aus EU-Kreisen gegen die Vertragsverlängerung, befand man sich doch in Brüssel bereits seit 2014 in einem kleinen Wirtschaftskrieg mit Russland. EU-Mitgliedsstaaten war es verboten, Erdöl- und Erdgasfördertechnologien nach Russland zu exportieren, der Rohstoff selbst war allerdings von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen noch nicht betroffen.

Mit dem großen Wirtschaftskrieg gegen Russland, den die USA und die EU nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine vom Zaun gebrochen haben, geriet auch der österreichisch-russische Gasvertrag zunehmend unter Druck. Als Erstes bekam dies OMV-Chef Rainer Seele zu spüren. Der aus Deutschland stammende Manager ist für seinen Pragmatismus bekannt und wehrte sich immer wieder gegen moralisch aufgeladene antirussische Politikerstimmen. Als Präsident der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer stand er für einen fortgesetzten wirtschaftlichen Austausch zwischen Ost und West.

Gleichzeitig mit seinem Vertragsende als OMV-Chef sprach ihm die Jahreshauptversammlung des Konzerns im Jahr 2022 mehrheitlich das Misstrauen aus. Die Vertreter des Staates und die Aktionäre aus Abu Dhabi weigerten sich in einem international absolut unüblichen Vorgang, ihren Konzernchef zu entlasten. Damit schlossen sie sich der Empfehlung der „International Shareholder Services“ – einer Stimmrechtsberatergesellschaft (was es nicht alles gibt auf dieser Welt) – an. Der Vorwurf lautete auf Missachtung von Compliance-Regeln, genannt wurde z.B. ein Sponsorenvertrag mit dem russischen Fußballclub Zenit Sankt Petersburg. Doch im Visier standen vor allem die Lieferverträge mit Gazprom. Nach einem Jahr heftigsten Gerangels sprach die nächste OMV-Hauptversammlung dem bereits ausgeschiedenen Rainer Seele im Juni 2023 nachträglich doch noch das Vertrauen aus und entlastete ihn.

Österreich bezog zuletzt 85 Prozent seines Gases aus Russland.

Koste es, was es wolle: Raus aus russischem Gas

Der antirussische Kampf verlagerte sich in der Folge auf die Gerichtssäle – oder genauer: auf diverse internationale Schiedsgerichte. Im Januar 2023 reichte die OMV bei einem Schiedsgericht in Stockholm Klage gegen Gazprom ein, weil der russische Konzern seine Gasliefermengen nach Deutschland gedrosselt und kurzfristig eingestellt hatte. Österreich war zu keinem Zeitpunkt davon betroffen. Der Streitwert belief sich auf 575 Millionen Euro. Im April 2024 konnte Gazprom mittels eines Schiedsgerichts in Sankt Petersburg diese Klage erfolgreich zurückweisen. Die Lieferschwierigkeiten, so der russische Konzern, hätten mit der Sanktionspolitik der Europäischen Union zu tun und können Gazprom nicht angelastet werden.

Tatsächlich hatte Brüssel Ende Februar 2022 als Reaktion auf den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine mit einem Rundumschlag gegen die russische Wirtschaft gleich mehrere Sanktionspakete geschnürt, unter anderem das Einfrieren von 300 Milliarden US-Dollar an russischen Zentralbankgeldern und den Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System. Bereits zuvor hatte die deutsche Bundesregierung die Inbetriebnahme der fertiggestellten Nord-Stream-2-Pipeline mit bürokratischen Manövern verhindert. Russland sah sich wirtschaftlich an die Wand gedrängt und meldete seinerseits – um den Druck auf Deutschland und die EU zu erhöhen – Schwierigkeiten beim Transport von Gas durch Nord Stream 1. Ein – echter oder fingierter? – Turbinenschaden führte dazu, dass nur mehr 60 Prozent des vertraglich vereinbarten Gases in Deutschland ankamen, später waren es nur noch 40 Prozent. Die Reparatur der Siemens-Turbine konnte nur am Standort in Kanada durchgeführt werden, was dazu führte, dass Ottawa nach erfolgter Reparatur die Ausfuhr nach Russland verweigerte – Turbinen standen auf der kanadischen Sanktionsliste. Nachdem der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Sonderausfuhrgenehmigung erstritten hatte, ließen die russischen Zollpapiere auf sich warten. Auf diese Art und Weise ging der Kampf um russische Energie für Deutschland noch bis zum 26. September 2022, als eine Marine-Einheit – mutmaßlich aus den USA – mit der Sprengung von drei der vier Nord-Stream-Röhren der deutsch-russischen Energiepartnerschaft ein Ende setzte.

Am 13. November 2024 sprach ein Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer der OMV 230 Millionen Euro plus Zinsen als Schadensersatz für die erlittenen Ausfälle am deutschen Gasmarkt im Jahr 2022 zu. Das ist zum einen bemerkenswert, weil zu diesem Zeitpunkt die Sanktionsmaschine gegen Russland voll angelaufen war und sich dieses Schiedsgericht dessen freilich bewusst war, den „Fall“ jedoch so behandelte, als wäre er in wirtschaftlichen Friedenszeiten erfolgt. Zum anderen betrifft der Lieferausfall in Deutschland den österreichischen Markt in keiner Weise; und auch der langjährige, bis 2040 laufende Liefervertrag ist davon nicht tangiert. Umso unverständlicher ist es, dass die Chefetage der OMV am Tag nach dem Urteilsspruch des Schiedsgerichts verkündete, die 230 Millionen Euro mit zukünftigen Gaslieferungen nach Österreich verrechnen zu wollen. Dieses Vorgehen wird nur dann verständlich, wenn man es bewusst darauf angelegt hat, die österreichisch-russische Energiepartnerschaft auf diese Weise zu torpedieren. Und genau das ist die Rationalität hinter dem provokativen Vorgehen der neuen OMV-Riege und der hinter ihr stehenden Regierung als Eigentümervertreterin.

Drei Tage später, am 16. November 2024, stellte Gazprom die Gaslieferung an die OMV ein. Damit hat Letztere ein Argument in der Hand, dass Russland den bis 2040 geltenden Vertrag gebrochen hätte, was wohl der Sinn der ganzen Klageflut gewesen ist.

Die OMV setzt in Zukunft – ihrer eigenen Philosophie, möglichst nachhaltig und CO2-arm wirtschaften zu wollen, widersprechend – auf LNG-Gas aus den USA. Dieses soll über italienische Häfen die Alpen hinaufgepumpt werden, um dann wieder östlich von Wien in den Speicher Baumgarten zu fließen. Auch ist die Rede davon, dass sich bereits Zwischenhändler finden, die russisches Gas – als aserbaidschanisches umetikettiert – über die seit 1968 bestehende Pipeline nach Österreich bringen. Derzeit rechnen Kalkulanten für das kommende Jahr mit Preiserhöhungen von 20 Prozent, was von Politik und OMV zur Kenntnis genommen wird. Das muss einem, so ihr Tenor, der Kampf gegen Russland schon wert sein.

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